Inklusion ab
Wickeltisch
In den Kitas Kinderhaus Imago werden Kinder mit und Kinder ohne Behinderung gemeinsam in integrativen Gruppen betreut und gefördert. Im Alltag kommen diverse Hilfsmittel zum Einsatz, sodass jedes die Unterstützung erhält, die es benötigt. Ein Einblick in einen etwas anderen Kita-Alltag.
Kindergeschrei, Lachen, Rufen und auch Weinen … so tönt es in den Kitas Kinderhaus Imago in Dübendorf ZH und in Baar ZG. Allerdings unterscheiden sich diese Kindertagestätten von anderen. Denn: Das Kinderhaus, vor 17 Jahren gegründet, wurde von Anfang an als inklusive Kita konzipiert. Die eine Hälfte der Kita-Plätze ist für Kinder mit, die andere für Kinder ohne Behinderung reserviert. Mit diesem Angebot kommt die Stiftung visoparents einem grossen Bedürfnis vieler betroffener Eltern
nach, denn einen freien Kita-Platz für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen zu finden, ist gar nicht so einfach. Sie werden in herkömmlichen Kitas häufig abgewiesen, sei das, weil die benötigte Infrastruktur nicht gegeben ist, weil kein geschultes Pflegepersonal vorhanden oder weil die Finanzierung nicht gewährleistet ist. Die Absage-Gründe sind vielfältig.
In der Kita Kinderhaus Imago erhalten alle Kinder eine liebevolle Betreuung, einen abwechslungsreichen Alltag und spezifische Förderung. Auch eine professionelle medizinische Pflege ist gewährleistet. Der Umgang mit Tracheal-Kanülen und Ernährungssonden sowie die Abgabe spezifischer Medikamente gehören hier zum Kita-Alltag. Die Teams sind interdisziplinär zusammengestellt mit Fachpersonen aus der Betreuung, Pflege, Pädagogik, Heilpädagogik sowie Therapie. Dieses Know-how kommt auch den Kindern ohne Behinderung zugute, die ebenfalls von gut ausgebildeten Fachpersonen individuell gefördert werden. Und sie erleben,
dass alle Kinder ein wichtiger Teil einer Gruppe sind.
Inklusion im Alltag integrieren
Inklusion ist ein grosses Wort. Es bedeutet, dass Menschen mit Behinderung ihr Leben nicht den vorhandenen Strukturen anpassen müssen. Vielmehr ist die Gesellschaft aufgerufen, Strukturen zu schaffen, die es allen ermöglichen, ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein. In der aktuellen
Gesellschaft ist dies tatsächlich mehr eine Vision denn eine Realität. Im Kinderhaus Imago kommt der Alltag der Inklusion aber oft sehr nahe. Das erklärte Ziel ist es, dass jedes Kind gleichwertig teilhaben kann, unabhängig von Behinderung, Sprache oder Kultur. Dazu braucht es Offenheit gegenüber unterschiedlichen Bedürfnissen, Kreativität bei der Lösungssuche und sehr viel Engagement. Wie Inklusion im Kita-Alltag aussehen kann, zeigen folgende reale Beispiele aus der Kita Kinderhaus Imago:
Ein Tag wie viele in der Kita Kinderhaus Imago
Am Morgen empfängt eine Betreuerin die Kinder in der Garderobe. Gerade versucht ein Kind, das motorische Schwierigkeiten hat, seine Jacke auszuziehen. Die anwesende Betreuerin hilft ihm, den Reissverschluss ein kleines Stück zu öffnen, den Rest schafft das Kind allein und freut sich darüber. Ein kleiner Junge ohne Behinderung schlüpft unterdessen in seine Finken und setzt sich zu einem Jungen, der soeben sein Frühstück über eine Magensonde erhält. Ihn stört die Sonde nicht, er kennt das Prozedere bereits und erklärt seinem Freund, was er selber heute Morgen gefrühstückt hat.
Wie in anderen Kitas auch beginnt der Tag im Kinderhaus mit einem Morgenkreis. Einige Kinder schauen bereits voller Vorfreude in die Runde. Einem Mädchen scheinen die Augen immer wieder zuzufallen, und ein anderes Kind gibt seinem Bewegungsdrang nach und steht auf. Es wird liebevoll zurück in den Kreis geführt, sodass alle gemeinsam ein Lied singen können.
Alles, was im Kreis sowie den ganzen Tag über gesagt oder gesungen wird, übersetzen die Betreuerinnen und Betreuer in Gebärdensprache, symbolisieren die Worte mit vorgefertigten Piktogrammen und verstärken sie mit Mimik. Diese sogenannte Unterstützte Kommunikation prägt den
gesamten Kita-Alltag und hilft Kindern mit Behinderung, und solchen aus anderen Sprachregionen sowie ganz kleinen Kindern, sich aktiv am Geschehen zu beteiligen. Im Laufe des Tages kommen weitere Hilfsmittel der Unterstützten Kommunikation zum Einsatz, beispielsweise ein Sprachcomputer, der auf Knopfdruck Wörter oder ganze Sätze bildet. Zu verstehen, was gesagt wird, was passiert und was als Nächstes kommt, hilft allen Kindern, sich im Kita-Alltag zurechtzufinden.
Kinderhaus Imago
Weitere Informationen zu unseren Kitas Kinderhaus
Imago in Dübendorf und Baar.
Literacy – mit Büchern Grundlagen zum Lernen schaffen
Zentral für ein gleichberechtigtes Leben ist, dass alle Kinder von Anfang an gleichermassen Zugang zu Bildung haben. Felix Zgraggen ist Kindheitspädagoge HF und Verantwortlicher Qualität im Kinderhaus Imago in Dübendorf. Er ist unter anderem spezialisiert auf die Literacy-Methode, welche dafür einsteht, dass Kinder früh Erfahrungen rund um das Buch sowie die Erzähl- und Schriftkultur machen sollen. Dabei geht es nicht darum, Lesen zu lernen, sondern durch regelmässigen Kontakt mit Büchern, Schrift und Buchstaben zu erfahren, wie Schriftlichkeit funktioniert und wie anhand von geschriebenen Wörtern Inhalt transportiert werden kann. Das Interesse der Kinder kann mit Büchern und Erzählungen früh geweckt und so ein einfacher Zugang zu Schrift ermöglicht werden.
«Multimodal gestaltete Kinderbücher und aktive Erzählstunden fördern den Zugang zur Schriftlichkeit.» – Felix Zgraggen, Kindheitspädagoge HF
Erfahrungen zeigen, dass Kinder mit einer Behinderung manchmal in ihren potenziellen Literacy-Kompetenzen unterschätzt werden. Felix Zgraggen verschafft deshalb allen Kindern einen altersgerechten Zugang zu Büchern und Geschichten, indem er regelmässig Erzählstunden
anbietet: «Das Zusammensitzen im Kreis, sich anschliessend über die Geschichte austauschen und sie mit Figuren nachspielen, schafft eine Situation, in der sich jedes Kind auf seine Weise aktiv in den Prozess einbringen kann, und bereitet es auf den Umgang mit Schriftlichkeit vor», sagt er.
Bis vor wenigen Jahren waren auf dem Markt noch kaum inklusive Kinderbücher erhältlich, die den unterschiedlichen Bedürfnissen und Kommunikationsformen gerecht geworden wären. Deshalb hat sich Felix Zgraggen angewöhnt, Kinderbücher multimodal umzugestalten. In einigen Büchern hat er beispielsweise Piktogramme auf die Seiten geklebt, um den Kindern den Zugang zum narrativen Inhalt zu erleichtern. Ein beliebtes Hilfsmittel sind auch die Klebepunkte der Marke Tellimero. Mit einem
elektronischen Stift können sie individuell besprochen und anschliessend abgespielt werden. Berühren die Kinder mit dem Stift die Punkte, wird ihnen die Geschichte vorgelesen und somit ein auditiver Zugang zur Schriftlichkeit ermöglicht. «Mit dem Tellimero-Stift kann auch ein Kind, das nicht sprechen kann, seinen Gspänli eine Geschichte abspielen, also quasi ‹erzählen›. Es entscheidet die Reihenfolge und auch, welche Punkte es abspielen will, und erlebt sich dadurch als selbstwirksam», so Zgraggen.

Gemeinsame Spielsituationen schaffen
In der Kita Kinderhaus Imago werden die Kinder regelmässig in geführten Spielsequenzen beschäftigt, erhalten aber auch Zeit fürs freie Spiel. Lego, Bällebad, Rutschbahn, Gesellschaftsspiele, Autos und Bauklötze gehören zu den beliebtesten Spielsachen. Auch wird regelmässig gebastelt und gemalt. «Grundsätzlich können Kinder mit einer Behinderung die gleichen Spiele spielen und Aktivitäten unternehmen wie alle anderen», bestätigt Larissa Bütler, stellvertretende Gruppenleiterin in der Kita Kinderhaus Imago in Baar. Eines ihrer Kita-Kinder mit Cerebralparese spielt beispielsweise gerne Memory. Weil es die Kärtchen nicht greifen kann, übernimmt Larissa Bütler jeweils diese Handgriffe für das Kind. Dieses zeigt mit seinem Blick, welche es wählt – und kommuniziert mit ja oder nein, ob die zwei denn nun identisch sind.
Ein Kind mit Rollstuhl wiederum liebt es, die Znüni-Früchte zu verteilen – und darf diese Aufgabe regelmässig übernehmen. «Man darf die Fähigkeiten jedes einzelnen Kindes nicht unterschätzen», so Larissa Bütler. Und falls bei einer Aktivität der Rollstuhl mal stört, lassen wir ihn stehen, nehmen das Kind zu uns und finden mit anderen Hilfsmitteln eine geeignete Lösung, damit es teilhaben kann.»

Ohne gutes Fachpersonal ginge es nicht
Das inklusive Modell der Kita benötigt ein Vielfaches an Personalressourcen im Vergleich zu anderen Kitas, die Mehrkosten dafür werden teils von den Gemeinden, von einer Stiftung oder aus Notfallfonds bezahlt. Wichtig für die hohe Qualität der Betreuung ist die grosse Fachkompetenz der Betreuenden, die sich regelmässig intern und extern weiterbilden.
Die Nachfrage nach Plätzen für Kinder mit Behinderung ist gross – und übersteigt manchmal das Angebot. Dennoch hält das Kinderhaus Imago an seiner 50-Prozent-Regelung fest. «Uns ist es wichtig, dass wir integrativ bleiben, und das können wir nur, wenn wir die Hälfte der Kita-Plätze an
Kinder ohne Behinderung vergeben», erklärt Felix Zgraggen und fügt an: «Viele Eltern berichten uns, dass sie das Kinderhaus als Kita ausgewählt haben, weil es für eine inklusive Gesellschaft steht, aber auch weil der Betreuungsschlüssel höher ist als in anderen Kitas. Und davon profitieren
schliesslich alle Kinder.»
Erfahren Sie mehr
Ein speziell eingerichteter Snoezelen-Raum, ein Wasserbett, das Schallwellen überträgt,
oder regelmässige Treffen von Kita-Kindern und Bewohner:innen eines Pflegezentrums:
Die Kita Kinderhaus Imago geht in Sachen Inklusion ihren eigenen Weg.
Text: Regula Burkhardt
Fotos: Vera Markus