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Fokus: Kommunikation

«Kein Kind sollte ausgeschlossen sein»

Sonja Kiechl schrieb vor 15 Jahren das Konzept für die inklusive Kita Kinderhaus Imago. Nun tritt sie den Ruhestand an. Im Interview spricht sie über die Kunst, flexibel zu bleiben, sich stets den Bedürfnissen anzupassen und über den Sinn der Integration im Kleinkindalter.

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«Kein Kind sollte
ausgeschlossen sein»

Sonja Kiechl schrieb vor 15 Jahren das Konzept für die inklusive Kita Kinderhaus Imago. Nun tritt sie den Ruhestand an. Im Interview spricht sie über die Kunst, flexibel zu bleiben, sich stets den Bedürfnissen anzupassen und über den Sinn der Integration im Kleinkindalter.

Sonja Kiechl, du wurdest vor 15 Jahren vom damaligen Elternverein gebeten, eine Tagesbetreuung für Kinder mit Behinderung auf die Beine zu stellen. Daraus wurde dann eine inklusive Kita. Wie das?

Sonja Kiechl: Damals gab es einen grossen Bedarf an Betreuungsplätzen für Kinder mit Behinderung, gleichzeitig schuf man die Sonderschulen ab, mit dem Ziel, die Kinder zu integrieren. Eine rein separative Kita wäre nicht zeitgemäss und viel zu teuer gewesen. Deshalb schrieb ich ein Konzept für eine integrative Kita. Nachdem es der Vorstand abgesegnet hatte, ging alles sehr schnell. Ich wurde am 1. Juni angestellt, rekrutierte Fachkräfte, richtete die Kita ein und holte Bewilligungen ein. Am 18. August 2008 eröffneten wir das erste Kinderhaus Imago.

Was reizte dich an diesem Projekt?

Ich bin eine Person, die Bedürfnisse von Betroffenen ernst nimmt und es mag, passende Lösungen anzubieten. Zudem war ich schon damals Vereinsmitglied bei visoparents, weil unser drittes Kind mit einer Sehbehinderung zur Welt gekommen war. Dadurch wusste ich auch, welche Erwartungen Eltern an eine Kita haben.

Das Kinderhaus war ein Pionierprojekt. Hattest du keine Angst zu scheitern?

Ich überlegte mir im Voraus gut, was geht und was nicht. Aber ich hatte glücklicherweise auch Leute im Boot, die zu mir hielten und mich unterstützten: so etwa der Vorstand, der bereit war, langfristig Geld aufzuwenden, später auch ein Kita-Leitungsteam, das stets mit mir am gleichen Strick zog. Bevor ich die Stelle annahm, wollte ich aber die Zusage, dass wir mindestens drei bis fünf Jahre Kapital zur Verfügung haben. Ich wusste, dass ein solches Projekt Zeit braucht, erst recht, weil damals zahlreiche politische Entscheide hängig waren.

So viel Zeit brauchtest du schlussendlich nicht. Bereits 2010 eröffnete die zweite Kita-Gruppe und 2012 die dritte. Weshalb diese schnelle Expansion?

In den ersten zwei Betriebsjahren hatten wir nur eine Bewilligung für Kinder ab zwei Jahren, weil die Behörden damals fürchteten, es könnte für Babys gefährlich sein, wenn sie mit schwer behinderten Kindern zusammen sind. Weil unsere Eltern immer wieder nach Plätzen für die gesunden kleinen Geschwister fragten, beantragten wir weitere Bewilligungen, denn wir wollten diesem Bedürfnis nachkommen. Dann hatten wir das Glück, dass im Haus gerade Räume für weitere Gruppen frei wurden.

Sonja Kiechl (64) arbeitete 15 Jahre als Gesamtleiterin der Kitas Kinderhaus Imago. Ursprünglich machte sie eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete unter anderem an der Wertschriften und Devisenbörse. Später absolvierte sie Aus- und Weiterbildungen in Psychologie, Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung. Sie und ihr Mann Walter begleiten visoparents seit 40 Jahren, zuerst als Mitglieder des Elternvereins, später war Walter als Vereinspräsident tätig. Im Oktober 2023 tritt Sonja Kiechl ihren Ruhestand an.

Die Inklusion ist fester Bestandteil des Konzepts. Wie konntest du dieses umsetzen?

Nun, wir fanden immer Lösungen. Uns war von Anfang an wichtig, dass unsere Kita für alle offen ist, egal wie komplex eine Behinderung ist. Kein Kind sollte ausgeschlossen sein. Daran hielten wir all die Jahre fest. Denn alles, was Eltern von schwer kranken oder behinderten Kindern für deren Pflege lernen können, das können auch wir lernen. Und das tun wir auch. Abgesehen von der Inklusion betrachteten wir unser Konzept nie als feste Leitlinie.

Was heisst das?

Wir verändern uns stetig. Das müssen wir auch, weil wir uns stets nach den Bedürfnissen der Menschen richten. Bei der Arbeit mit Kindern mit komplexen Behinderungen braucht es diese Flexibilität. Deshalb schauen wir am Morgen, welche Kinder da sind, besprechen, was sie brauchen, und achten darauf, was unsere Mitarbeitenden
benötigen. Dann gestalten wir den Tag so, dass alle Bedürfnisse berücksichtigt werden. Diese Offenheit, sich stetig neu zu erfinden, leben wir seit Jahren.

Weshalb erachtest du Inklusion von klein auf als wichtig?

Mit Inklusion im Kleinkindesalter legen wir einen Grundstein, durch den, so hoffe ich, unsere Gesellschaft langfristig toleranter wird. Durch eigenes Erfahren und Erleben wird den Kindern bewusst, dass anders zu sein eine Bereicherung ist und dass Kinder mit Behinderung zwar Einschränkungen haben, diese aber in anderen Bereichen
kompensieren. Ich glaube, wir prägen unsere Kinder, wenn sie bereits jetzt lernen, dass ein Freund, der im Rollstuhl sitzt, genauso viel wert ist, wie alle anderen Kinder auch.

Dein jüngstes Projekt, an dem du mitgewirkt hast, ist die Lancierung der Schule IFA (Intensiv-Förderung Autismus Zyklus 1). War der Start im August ein krönender Abschluss für dich?

Es ist schon sehr schön für mich, dass ich dieses Projekt noch umsetzen konnte – gerade weil seitens der Betroffenen ein grosses Bedürfnis vorhanden ist. Ich gehe mit einem guten Gefühl, denn ich weiss, dass wir etwas aufgebaut haben, das wirklich dringend gebraucht wird, das am Puls der Zeit ist und das spannende Arbeitsplätze bietet.

Du hast in deine Arbeit stets viel Herzblut investiert. Wie gehst du mit der bevorstehenden Pensionierung um?

Ich werde die Gesamtleitung der Kinderhäuser gerne abgeben im Wissen darum, dass der Übergang reibungslos verläuft. Mit den Co-Leitungen in Dübendorf und Baar arbeite ich schon viele Jahre zusammen und ich bin sicher, dass die Kinderhäuser in den besten Händen sind. Ich werde der Stiftung visoparents nach meiner Pensionierung aber noch für einzelne Projekte zur Verfügung stehen.

Welche Pläne hast du für den Ruhestand?

Mein Mann und ich haben drei Kinder sowie sieben Enkelkinder. Wir leben mit unserer Tochter und deren Familie in einem Mehrgenerationenhaus. Langweilig wird mir da sicher nicht. Ich werde mir aber mehr Zeit für meinen Mann nehmen und auch wieder öfter handwerklich arbeiten.

Interview: Regula Burkhardt
Fotos: RB und Tina Steinauer

Weitere Informationen zu den Kitas Kinderhaus Imago:

Portrait Kiechl

Sonja Kiechl

Gesamtleiterin Kitas Kinderhaus Imago

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